Glosse: Spezialisierung ist unnötig – wir können auch alles.

von Irving Tschepke

Ein klassischer IT Dienstleister kann alles – grundsätzlich. Egal welche Technologie oder Methodik der Kunde nachfragt und sei es noch so exotisch, jeder kann alles. Bei den ganz Großen der Branche könnte man sogar annehmen, dass das tatsächlich stimmt. Irgendwo auf der Welt gibt es sicher einen Mitarbeiter, der sich mit diesem oder jenem beschäftigt hat. Warum also erst nach einem Spezialisten suchen, die großen Anbieter können ja sowieso alles.

Fragt sich nur, ob dieser Mitarbeiter noch in dem Unternehmen ist, und wenn ja, ob er für das anstehende Projekt zur Verfügung steht? Sicherlich mag er mit dem Produkt / der Technologie gearbeitet haben. Doch wie lange ist das her, welche Produktversion war das? Auch wenn das Produkt noch den gleichen Namen hat, aber hat es sich nicht im Laufe der Zeit völlig verändert, andere Funktionen, andere Basistechnologie, anderes Grundkonzept?

Die großen Anbieter der Offshore / Nearshore Szene machen da keine Ausnahme. Auch da wird grundsätzlich genickt, wenn die Frage  nach spezifischen Know how kommt. Und wenn das Produkt etwas scheinbar nicht kann, wird einfach etwas dran- oder dazugebaut – das geht alles, kein Problem.

Das ist ein generelles Muster der großen Dienstleister. So ein Produkt hat ja schon so seine Defizite, und ganz schlimm, diese Hersteller-Abhängigkeit. Immer ein gerne genommenes Argument, um möglichst viel selber neu zu bauen, was eigentlich schon an Funktionalität vorhanden ist. Und dann noch ein paar abstrakte Schichten und Layer dazugebaut, mit einem eigenen Framework veredelt. Dann kann man nachher ganz leicht das Produkt mit einem anderen austauschen. Leider ist man dann anstatt vom Hersteller nun vom Dienstleister abhängig. Aber es ist ja immer alles gut dokumentiert, und auf Standards aufgebaut, da ist die Einarbeitung durch einen anderen Dienstleister kein Problem.

Wie, das stimmt alles nicht? Nun ja, sicher ist das alles etwas überzeichnet, aber im Grundsatz läuft das Geschäft genau so ab – das erleben wir als kleiner, spezialisierte Dienstleister immer wieder. Da kommt man oft in die Situation, dass man basierend auf dem vorhandenen Spezialwissen ein extrem gutes Angebot macht. Große Anbieter machen natürlich große Angebote – da müssen ja erheblich mehr Leute ausgelastet werden – und der Kunde reibt sich die Augen. Aber wenn die Großen so große Angebote machen, da hat der Kleine das doch sicher nicht richtig verstanden. Schade…

Warum also das Risiko eingehen, auf einen Kleinen zu setzen? Wenn es beim Großen schiefgeht, lässt sich das ja intern viel besser verkaufen nach dem Motto „Also wenn die das nicht mal geschafft haben…“. Warum der Kleine das eventuell besser macht? Er ist spezialisiert, kennt sich exakt mit dem Produkt / der Technologie aus, über lange Zeit. Er muss nicht eine große Anzahl an Mitarbeitern auslasten und neu einarbeiten, für ihn sind auch kleine Projekte attraktiv. Er will seine Mitarbeiter nicht unbedingt lange in einem Unternehmen mit Wartungsarbeiten binden, um diese frei zu haben für neue Projekte.

Warum wir das hier schreiben? Nein, wir sind nicht frustriert und wir haben auch jede Menge zu tun. Es gibt zum Glück immer noch Kunden, die auch die Zusammenarbeit mit einem kleinen Dienstleister wagen, schätzen und damit erfolgreich sind. Aber es fällt uns immer wieder auf, dass gerade im IT Bereich jeder der Tollste, Größte und Beste ist und insbesondere einfach alles kann.

Aber das ist auf der anderen Seite auch gut, denn das differenziert uns von den anderen. Wir sind da bescheidener. Wir können nicht alles. Wir können wenige Dinge, die aber sehr gut. Wir machen uns tatsächlich viele Gedanken, wie wir das Beste für den Kunden liefern können und Lösungen schaffen, die nachhaltig sind und wirklichen Nutzen stiften. Aber das können die anderen ja alle auch :-) .

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